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Als die Wien noch nicht in ein Betonbett gezwängt war, konnte der Fluss recht wild und unbändig werden, besonders nach längeren Regenfällen oder zur Zeit der Schneeschmelze. Um ihn zu bändigen, gab es an mehreren Stellen Schleusen. Führte die Wien wenig Wasser, staute man sie auf, indem man die Schleusentore schloss. Bei Hochwasser hingegen wurden die Schleusen weit geöffnet.

Eine dieser Stauanlagen befand sich in der Nähe der Schönbrunner Brücke. Am Ufer stand ein Schleusenhäuschen. Dort wohnte der Schleusenwärter Balthasar Mandl. Beim Besuch seiner Enkel achtete er sehr darauf, dass sie nicht zu nah zum Wasser liefen, doch gerade dort spielten sie am liebsten.

"Gebt nur acht, dass euch der Wassermann nicht holt!", warnte der Großvater immer wieder. "Er wartet schon auf unfolgsame Kinder, die sich zu weit vom Ufer fortwagen!"

Jacob und Katharina standen barfuß im seichten Wasser und schleuderten Steine in den Fluss. Sie warfen um die Wette. Der Bub lachte. "Großvater, du willst uns doch nur Angst einjagen! Es gibt gar keinen Wassermann!" Katharina stampfte mit dem Fuß auf, dass die Tropfen bis zu dem alten Mann spritzten. "Freilich gibt es ihn! Der Großvater hat ihn selbst mit eigenen Augen gesehen. Er hat es mir schon ein einige Male erzählt."

Sie ließ den Bruder stehen und rannte zum Schleusenwärter, der auf der Bank vor seinem Häuschen saß. "Ich hab es nicht gezählt, wie oft er mir schon begegnet ist", schmunzelte der Großvater. "Aber ein Dutzend Mal wird es bestimmt gewesen sein. Schließlich lebe ich schon von Kindheit an hier an der Wien. Meinen besten Freund hat er geholt, damals, als ich so alt war wie Jacob. Hans wollte uns immer beweisen, was er sich alles traute. Manchmal ist er von hier ans andere Ufer geschwommen. Damit ihm der Wassermann nichts anhaben konnte, hat er sich einen Schwimmgürtel gemacht. Aber einmal hat es ihn doch erwischt. Das Wassermännlein hat seine Gürtelschnalle unter Wasser geöffnet, und um den Hans war es geschehen.

Mich wollte es auch einmal ins Wasser ziehen, aber ich bin noch rechtzeitig über die Wagengleise gesprungen. Du weißt ja, wenn man die Spuren der Wagenräder zwischen sich und das Wassermännlein gebracht hat, dann hat es keine Macht mehr über einen."

"Wie sieht das Wassermännlein aus?", fragte Katharina atemlos. Sie konnte sich an den Erzählungen des Großvaters nicht satt hören. "Es ist nicht größer als ein siebenjähriges Kind", erklärte der Schleusenwärter geduldig, "aber stark wie fünf Männer. Es trägt eine lehmgelbe Hose und einen grauen Rock mit blauen Knöpfen. Am auffälligsten aber ist sein grünes Haar, durch das es immer wieder mit einem goldenen Kamm fährt. Dabei singt es gern."

Scheu blickte Katharina auf die Wellen der Wien, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte. Hatte sie da nicht eben etwas wie einen goldenen Kamm funkeln sehen? Und dort, knapp unter der Wasseroberfläche, schimmerte langes, grün glänzendes, gekräuseltes Haar. Katharina drückte sich eng an den Großvater. Jacob lachte seine jüngere Schwester aus und nannte sie einen Angsthasen.

Im folgenden Frühjahr waren die Kinder wieder zu Besuch beim Schleusenwärter, doch sie hatten die Warnungen des Großvaters längst vergessen. Großvaters Ziege hatte ein Zicklein bekommen, einen allerliebsten kleinen Ziegenbock. Jacob begann gleich zum Spaß mit ihm zu raufen. Sie führten das Kitz zum Ufer. Die saftigsten Gräser wuchsen dicht am Wasser. Niemand trieb die Tiere dorthin, denn zu leicht hätte eines der Tiere in den Fluss fallen können.

Plötzlich hörte Katharina ein sonderbares Singen. Suchend blickte sie sich um, um den seltsamen Vogel zu entdecken, der diese geheimnisvollen Töne hervorbrachte. Sie erschrak, denn das Geräusch kam vom Fluss. Dort hockte auf einem Stein am Ufer eine merkwürdige Gestalt: Zur lehmgelben Hose trug sie einen grauen Rock mit blauen Knöpfen. Mit einem goldenen Kamm kämmte das Männlein sein grün schimmerndes Haar.

Das Lied klang so seltsam schön, dass Katharina noch näher ans Wasser trat, obwohl ihr vor Angst das Herz heftig pochte.

Da sprang das Wassermännlein plötzlich mit gespreiztem Finger auf, streckte die Arme aus und wollte das Mädchen ergreifen. Katharina stieß einen Schrei aus. Geistesgegenwärtig sprang sie zurück – über die Wagengleise des Weges, der die Wien entlang führte. Als Jacob hörte, wie die Schwester aufschrie, wandte er sich um. Dabei stieß er aus Ungeschicklichkeit die junge Ziege ins Wasser. Jacob wollte dem Kitz nach, aber Katharina schrie: "Gib acht, der Wassermann!"

Der Warnruf des Mädchens rettete den Bruder. Gerade noch konnte er den Ast eines Baumes packen und sich daran festhalten, sonst wäre auch er in den Fluss gestürzt. Entsetzt mussten die Kinder ansehen, wie das grünhaarige Männlein von seinem Stein in das Wasser glitt und das Zicklein mit sich in die Tiefe riss. Weinend liefen Jacob und Katharina zum Großvater. Der Schleusenwärter hörte sich alles schweigend an, dann sagte er:

"Ich bin froh, dass nichts Schlimmeres geschehen ist. Wie leicht hätte das Wassermännlein einen von euch mitnehmen können!"

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