Es war in einer Stadt in Kleinasien mit Namen Patara. Den Eltern Johanna und Epiphanius wurde ein Knäblein geboren. Sie nannten es Nikolaus. Weil es das erste und letzte Kind war, das ihnen geschenkt wurde, wandten sie all ihre Liebe auf den kleinen Nikolaus.
Etwas später zog die Familie nach Myra, einer Stadt in der Nähe des Meeres. Sie bewohnte dort ein schönes Haus, denn der Vater war ein reicher Kaufmann.
Als Nikolaus schon einige Jahre alt war, spielte der Bub am liebsten mit weißen Steinchen. Er hatte sie überall gesammelt. Damit legte er Figuren auf den Boden draußen vor ihrem Hause. Wenn andere Kinder herbeikamen, schenkte er ihnen auch weiße Steinchen, und sie legten mit ihm Steinkreise und zackige Figuren.
Einmal kam aus der unteren Stadt ein Knabe herbei, dem man den Namen "Pico, der Schelm" gegeben hatte. Schon mehrmals hatte er gestohlen und war ertappt worden. Als er bei Nikolaus und den spielenden Kindern sah, dass hier nichts zu holen war, ergriff er einen Besen und zerstörte die Figuren, die die Kinder gelegt hatten. Mit Schwung warf er den Besen hin, so dass der Stiel Nikolaus heftig an den Kopf schlug. Pico grinste und sprang davon.
Nikolaus eilte weinend zur Mutter. Sie tröstete ihn und kühlte die kleine Wunde, gab ein Heilkraut darauf und legte einen Verband um den Kopf. Nikolaus fragte: "Warum hat der Pico alles kaputtgemacht?" Die Mutter antwortete: "Wisse, es ist ein Knabe armer Leute aus der unteren Stadt. Die haben oft wenig zu essen und niemand hat den Pico lieb."
Als Nikolaus mit der Mutter zum Fenster hinausschaute, waren die anderen Kinder dabei, die zerstreuten Steine zusammenzusammeln. Einige begannen schon wieder, Figuren zu legen. "Schau", sagte die Mutter, "man kann alles wieder gut machen!" Sie schenkte dem Nikolaus eine besonders große Orange und er sprach: "Ich geh auch wieder zu den andern, zum Gutmachen."
Nikolaus eilte die Treppe hinunter. Wie er vor das Haus kam, blieb er einen Augenblick stehen, lief dann plötzlich seitwärts und schlug den Weg zur unteren Stadt ein. Überall fragte er: "Wo wohnt der Pico?", bis ihm jemand eine schmale, armselige Hütte zeigte.
Nikolaus klopfte an. Pico öffnete. Einen Moment starrte er Nikolaus mit dem verbundenen Kopfe an, dann schlug er die Tür heftig vor seiner Nase zu. Nikolaus hörte drinnen heftige Worte. Unschlüssig blieb er stehen. Da öffnete sich die Tür wieder und eine Frau fragte gar nicht freundlich: "Was willst Du?" "Hier, dem Pico die Orange bringen und ihn fragen, ob er mit mir spielen möchte."
Die Mutter von Pico schüttelte den Kopf und scherzte: "Komm herein!" Nikolaus trat in die düstere Küche. Auf der Feuersglut stand eine dreibeinige Pfanne mit brauner Wassersuppe. Pico saß daneben und machte ein finsteres Gesicht.
"Hier, Pico", sprach Nikolaus, "ich wollte Dir diese Orange bringen, weil dich niemand lieb hat." Der Mutter blieb der Mund offen und Pico warf einen unsicheren Blick auf Nikolaus und die herrliche Orange. Um diese Jahreszeit waren sie rar. Nikolaus ging auf den Sitzenden zu und legte ihm die Orange in die Hand. Dazu sprach er: "Pico, komm mich besuchen, ich möchte gerne mit dir spielen." Nach diesen Worten verschwand er zur Türe hinaus.
Am Abend brachte die Mutter Nikolaus zu Bett. Nikolaus sagte: "Mutter, heute bin ich in der unteren Stadt gewesen. Ich habe Pico gefunden und ihm die Orange geschenkt!" Erstaunt, ja erschrocken schaute die Mutter ihren Nikolaus an und fragte: "Nikolaus, warum bist du zur unteren Stadt gegangen?" - Nikolaus tippte mit der Hand aufs Herz und sagte: "Es hat mir da drinnen gezuckt, dass ich gehen soll!"