Der Rattenfänger vom Magdalenengrund
Als die Stadt Wien vor vielen Jahren noch viel kleiner war, hatte sie viele Vorstädte und Vororte, die später zu Stadtbezirken oder zu Bezirksteilen wurden.
Ein solcher kleiner Vorort war der Magdalenengrund. Dort standen nur 38 Häuser, die noch dazu recht armselige Hütten waren. Fast alle diese Häuser hatten nur einen einzigen Raum. Sie hatten meist kein Licht, und Wasser gab es auch nur bei wenigen. In den engen Gassen, in denen diese Häuser standen, lebten aber nicht nur Menschen, sondern auch unangenehme Mitbewohner wie Ratten und anderes Ungeziefer. Die Ratten und Mäuse vermehrten sich und wurden zu einer solchen Plage, dass man sich nicht mehr zu helfen wusste. Darum wird diese Gegend bis in unsere Zeit "Der Ratzenstadl" genannt. Als auch trotz Bittprozessionen und Wallfahrten die Plage immer ärger wurde, trat ein Mann auf, der den Leuten Hilfe versprach. Die Leute kannten ihn nur als einen herumziehenden Musikanten, der keinen besonders guten Ruf hatte. Sie hielten darum nicht viel von seinen Versprechungen. Er versprach ihnen das Gebiet von Ratten zu befreien. Da alles andere nicht geholfen hatte, waren sie mit seiner Hilfe einverstanden.
Eines Morgens schritt der Mann nun in einem grünen Gewand durch die Gassen des Ratzenstadls. Er hatte eine schwarze Flöte bei sich auf der er grelle Töne vor sich hin spielte. Plötzlich kamen aus allen Schlupflöchern die Ratten und Mäuse hervor und zogen in einer riesigen Schar dem Flötenspieler nach. Die Rattenschar wurde immer größer und als der Mann zum Wienfluss kam und dort mit seinen hohen Stiefeln durch das Wasser ging um den Fluss zu überqueren, da folgten ihm die Ratten und Mäuse nach und alle ertranken. Von diesem Tage an war der Ratzenstadl frei von Ratten und Mäusen und die Kunde von diesem "Rattenfänger vom Magdalenengrund" wie er danach genannt wurde, verbreitete sich bald in der ganzen Stadt.
Auch in der nahen Stadt Korneuburg hörte man von diesem Ereignis und war sehr an einer solchen Hilfe interessiert, denn auch dort hatten die Ratten schon überhand genommen. Die Stadtväter von Korneuburg ließen den Mann kommen und versprachen, ihn reichlich zu belohnen, wenn er auch diese Stadt von der Rattenplage befreite. Ganz genau wie im Ratzenstadl machte er es dann auch dort. Mit seinen Flötentönen, die für normale Ohren ganz schlimm geklungen haben sollen, lockte er auch die letzten Ratten aus den Löchern hervor. Sie alle folgten ihm auf seinem Weg zur Donau. Dort stieg er in ein Boot und fuhr über den Strom. Die Ratten folgten ihm ins Wasser. Nach und nach ertranken alle ohne Ausnahme. So war auch Korneuburg von der Rattenplage erlöst.
Als der Rattenfänger aber zurück in diese Stadt ging, um seinen versprochenen Lohn zu holen, wurde ihm dieser von den Stadtvätern verweigert. Sie sagten ihm, dass sein Werk nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könne. Sie glaubten, dass er ein Zauberer sei oder gar mit dem Teufel einen Packt geschlossen hatte. Der Rattenfänger ging und drohte den Stadtvätern, dass ihnen etwas Böses passieren werde. Seine Drohung wurde aber nicht ernst genommen.
Bald darauf kam er wieder nach Korneuburg. Diesmal aber in einem prächtigen roten Gewand und mit einer goldenen Flöte. Er ging durch die Stadt und spielte so schöne und bezaubernde Melodien, dass alle Kinder der Stadt ihm nachfolgten. Sie zogen hinter ihm bis zur Donau, wo er mit den Kindern auf ein großes schönes Schiff ging. Von diesem Moment an hat ihn und auch die Kinder niemand mehr gesehen. Zu spät bereuten die Korneuburger Stadtväter ihr Verhalten. Die Kinder blieben verschwunden. Erst viele Jahre später erfuhren sie von reisenden Kaufleuten, dass damals eine große Zahl von Kindern auf einem Markt weit, weit weg von Wien als Sklaven verkauft worden waren.