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Die Linde auf dem Stephansplatz

1 Byte entfernt, 14:50, 5. Sep. 2009
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Der Lindenbaum wurde immer größer und dichter, der Pfarrer wurde aber zusehends älter und schwächer. Wenn die Linde im Frühjahr erblühte, war auch der Pfarrer gesünder. Wurde es aber Herbst und die Linde verlor ihre Blätter dachte sich der Pfarrer: „Die Blätter sind die Tage meines Lebens. Wenn alle Blätter herabgefallen sind, werde ich tot sein. Und im Frühling wirst du wieder blühen, liebe Linde, und ich werde nichts mehr davon sehen.“ Mit diesen traurigen Gedanken ging er Abend für Abend ins Bett. Er wurde immer schwächer und konnte nur noch gehen, wenn er gestützt wurde. Tag für Tag ließ er sich zu seinem Fenster führen, um die Linde zu beobachten. Sein größter Wunsch war es, die Linde noch einmal blühen zu sehen und ihren süßen Duft einzuatmen, bevor er starb.
Der Herbst verging. Die Linde war längst kahl, als der Winter kam. Dem Pfarrer ging es wirklich schon sehr schlecht und er fühlte, dass er sterben müsse. Er konnte sich nicht mehr in seinem Bette aufsetzten aufsetzen und so bat er seinen Kirchendiener: „Ich bitte dich, richte mich auf und mach das Fenster auf, damit ich noch einmal meine Linde sehen und riechen kann. Der helfende Mann war sehr besorgt, denn er hatte Angst, dass die kalte Winterluft den Pfarrer umbringen würde. Aber was sahen die beiden Männer da? Mitten im Winter stand der Lindenbaum in voller Blüte. Es roch süßlich im ganzen Raum und ein warmer Wind wehte ins Schlafzimmer. Lange sah Pfarrer Eberhard aus dem Fenster, lächelte glücklich und schlief für immer ein.
Der Kirchendiener fürchtete sich, denn er hatte noch nie einen blühenden Baum im Winter gesehen. Er traute sich auch nicht den Toten anzugreifen und trat einen Schritt zurück. Da beobachtete er, dass der Wind die Lindenblüten beim Fenster hineinwehte und den Toten zudeckten. Das war der letzte Gruß der Linde an den Pfarrer Eberhard, die gleich darauf kahl war, wie jeder andere Baum im Winter.
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